Bagatellschaden aus Sicht des Geschädigten

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Häufig wird die Erforderlichkeit der Einholung eines Kfz-Sachverständigengutachtens an der Bagatellschadensgrenze festgemacht. Ein Kfz-Schadensgutachten ist nur dann entbehrlich und wird von dem Schädiger und dessen Kfz-Versicherung nicht erstattet, wenn ein eindeutiger Bagatellschaden vorliegt. Dabei muss es sich aber tatsächlich um einen eindeutigen Bagatellschaden handeln. Nach der Definition des BGH handelt es sich um einen Bagatellschaden, wenn nur oberflächliche (Lack-) Schäden vorliegen ( vgl. BGH WM 1987, 137 [unter II 2 b]; BGH WM 1982, 511; vgl. auch BGH NJW 1967, 1222; BGH DS 2008, 104, 106). Als Bagatellschaden hat der VIII. Zivilsenat des BGH bei Personenkraftwagen nur ganz geringfügige, äußere (Lack-) Schäden anerkannt, nicht jedoch andere (Blech-) Schäden, auch wenn sie keine weitergehenden Folgen hatten und der Reparaturaufwand nur gering war (BGH DS 2008, 104, 106).
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Sachverständiger zur Schadensfeststellung herangezogen werden kann, ist alleine entscheidend, ob für den geschädigten Kfz-Eigentümer zweifelsfrei erkennbar war, dass der eingetretene Schaden an seinem Fahrzeug ersichtlich nur oberflächlicher Lackschaden ist oder eindeutig unter 715,-- € liegt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ( vgl. etwa: BGHZ 160, 377, 383; BGH VersR 2006, 986, 987; BGH VersR 2007, 516, 517; BGH VersR 2008, 235, 237) entscheidet die Kenntnis des geschädigten Kfz-Eigentümers als technischen Laien, also wie sich der Schaden für ihn darstellt ( vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 1988, 1333 = VersR 1989, 191).
Eine ernst zu nehmende Meinung vertritt die Auffassung, dass die Sachverständigenkosten für ein Schadensgutachten in jedem Fall vom Schädiger zu erstatten sind, unabhängig vom Vorliegen eines Bagatellschadens (AG Bochum VAR 1980, 374; AG Freiburg VersR 1987, 1103 L; AG Köln VersR 1988, 1251; AG Lingen SP 1999, 178; AG München VersR 1999, 332). Dies Auffassung wird damit begründet, dass häufig auch bei nur äußerlichen kleinen Schadensbildern hohe Reparaturkosten entstehen können, was für den Geschädigten als Laien im Vorfeld eben nicht erkennbar ist. Der BGH hat auf die subjektive Sicht des Geschädigten im Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen abgestellt (BGHZ 54, 83, 85; BGH NJW 2005, 356). Für die Frage der Erforderlichkeit der Einholung des Schadensgutachtens ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen abzustellen. An die Erkennbarkeit des Bagatellschadens sind keine strengen Maßstäbe anzulegen (vgl. Wortmann DS 2009, 253, 254). Es muss für den Geschädigten als Laien offensichtlich zu Tage treten, dass nur ein geringer Lackschaden vorliegt, oder nur eine ganz geringe Aufprallgeschwindigkeit im Kollisionszeitpunkt vorgelegen haben (vgl. AG Essen SP 2004, 64; AG Nürnberg ZfS 2004, 35; AG Hadamar ZfS 1998, 291; AG Berlin-Mitte DAR 1998, 73). Hat der Geschädigte danach auch nur im Entferntesten Anlass zu befürchten, dass nicht erkennbare, versteckte Schäden vorliegen, kann ihm nicht verwehrt werden, einen Sachverständigen zu beauftragen. Der BGH hat deshalb auch festgestellt, dass es eine Wertgrenze, ab der Gutachterkosten zum erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, nicht geben kann (BGH NJW 2005, 356).
 

Die Bagatellgrenze kann durchaus unter 700 Euro liegen

| Auch wenn der Schaden an einem Stoßfänger im Gutachten mit einem Betrag von 668,43 Euro netto festgestellt wird, kann die Einholung eines Schadengutachtens erforderlich sein, entschied das AG Leer. |
 
Wenn der Stoßfänger betroffen ist, kann der Laie nicht erkennen, ob darunter ein Schaden entstanden ist. Er kann auch nicht erkennen, ob der Stoßfänger erneuert werden muss oder instandgesetzt werden kann. Vom Geschädigten kann weder verlangt werden, dass er den Schaden als Laie auf 50 Euro genau selbst abschätzen kann, noch dass er im Vorfeld den Stoßfänger demontieren lässt, um selbst zu sehen, ob darunter ein Schaden verborgen ist. Wörtlich sagt das Gericht: „Im Ergebnis würden derart hohe Anforderungen den gesamten Prozess vor der Einholung des Gutachtens ad absurdum führen, da ja gerade erst durch die Einholung eines Gutachtens der Reparaturaufwand ermittelt werden soll.“ (AG Leer, Urteil vom 27.8.2012, Az. 073 C 318/12

 

Sachverständigengutachten auch bei Bagatellschäden

BGH Karlsruhe, Aktenzeichen: VI ZR 365/03 – Urteil vom 24.02.2005

Die Kosten eines Sachverständigengutachtens können auch bei sogenannten Bagatellschäden geltend gemacht werden. Entscheidend sei dabei die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung. Demnach komme es darauf an, ob ein »verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter« nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Beauftragung eines Sachverständigen für geboten hält. Auf diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe machen die Verkehrsanwälte (Arge Verkehrsrecht im DAV) aufmerksam. Ein Mädchen war beim Fahrrad fahren gestürzt und beschädigte dabei eine geparkten Pkw. Es entstand ein Fahrzeugschaden von 727,37 EUR, den der Fahrzeughalter ersetzt verlangte. Daneben macht er Gutachterkosten in Höhe von 192,18 EUR geltend. Um die Gutachterkosten entstand nun Streit, ob sie bei der Schadenshöhe – einem sogenannten Bagatellschaden – eingesetzt werden dürfen. Der BGH hat dies hier gerade auch unter dem Blickwinkel »Kinderunfall« bestätigt. Die Pflicht zur Schadensminderung sei hier zweitrangig, so dass die »Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit« der Beauftragung eines Gutachters beim Geschädigten liege. Die Schadenshöhe laut Gutachten sei nicht allein maßgebend, auch nicht ihr Verhältnis zu den Sachverständigenkosten, so der BGH weiter. Auf der anderen Seite sei der später ermittelte Schadensumfang oft (!) ein Gesichtspunkt, den der Richter berücksichtigen könne. Die Einschätzung der Vorinstanz, mit 727,37 EUR liege der Schaden jenseits der Bagatellgrenze, sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Derzeit setzt die Rechtsprechung Beträge zwischen 500 und 1.500 EUR als sogenannte Bagatelle an. Die Instanzgerichte werden die tendenziell geschädigtenfreundliche Entscheidung des BGH als Billigung einer Bagatellgrenze von deutlich unter 1.000 EUR verstehen.

Quelle: verkehrsanwaelte.de
 
Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB (n.F.) auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB (n.F.) erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist.
Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Demnach kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte. Diese Voraussetzungen sind zwar der Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB verwandt. Gleichwohl ergeben sie sich bereits aus § 249 BGB, so dass die Darlegungs- und Beweislast hierfür beim Geschädigten liegt. Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist entgegen der Auffassung der Revision nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt. Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere, kostengünstigere Schätzungen - wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs - ausgereicht hätten.
 

 
AG WOLFSBURG vom 14.09.2011,
12 C 102/11

Recht des Geschädigten auf Einholung eines Sachverständigengutach-

tens bei Möglichkeit weiterer und nicht sichtbarer Fahrzeugschäden

Ist ein Geschädigter eines Verkehrsunfalls nicht in der Lage zu be-
urteilen, ob die Stossstange seines Fahrzeugs einen Bruch erlitten
hat oder ob noch andere, nicht einsehbare Fahrzeugteile beschädigt
wurden, so darf er einen Sachverständigen beauftragen. In einem sol-
chen Fall ist der Geschädigte nicht verpflichtet, nur einen Kosten-
voranschlag einzuholen. (Aus den Gründen: ...Die eingereichten und
unstreitig authentischen Fotos der Schäden an dem Fahrzeug des Klä-
gers zeigen, dass die Stossstange an dem Fahrzeug des Klägers gebro-
chen ist und Teile herausgebrochen sind. Der Kl. konnte als Laie
nicht beurteilen, ob nur die Stossstange in Mitleidenschaft gezogen
war oder durch den Anstoss möglicherweise auch weitere nicht sicht-
bare Teile an seinem Pkw beschädigt worden waren. Unter diesen Um-
ständen war der Kl. berechtigt, ein Sachverständigengutachten einzu-
holen und nicht verpflichtet, lediglich einen Kostenvoranschlag er-
stellen zu lassen...). (s.a. Anm. = Dok.Nr. 96098).

 

BGH
Aktenzeichen:
VI ZR 365/03

Als Grenze bis zu der noch von einem sogenannten Bagatellschaden ausgegangen werden kann, setzt das Gericht in ständiger Rechtsprechung einen Betrag von 1.000,00 DM an. Hiervon abzuweichen besteht kein Anlaß. Entscheidend ist nämlich weniger eine leichte inflationäre Entwicklung, sondern die Frage, inwieweit ein Laie aus eigener Sachkunde überhaupt in der Lage ist, einen Schaden insoweit selbst einschätzen zu können, daß er sagen kann, ob er die Bagatellgrenze überschreiten würde oder nicht. Das kann naturgemäß nur in engen Grenzen geschehen. Angesichts der bei dem Geschädigten vorauszusetzenden geringen Sachkunde bezüglich der kostenmäßigen Beurteilung eines Schadens ist zu berücksichtigen, daß der Laie in seiner Beurteilungsmöglichkeit schnell überfordert ist. Nur wenn die Geringfügigkeit des Schadens sozusagen ins Auge springt, liegt somit ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor, wenn der Geschädigte ein kostenintensives Sachverständigengutachten in Auftrag gibt.

AG Berlin-Mitte
Aktenzeichen:
106 C 7/97

Schaden von DM 1121,77 kein Bagatellschaden, außerdem hat der Kläger ein großes und teures Fahrzeug, der Schaden war nur schwer zu erkennen. Gerade bei schwierig festzustellendem Schaden liegt kein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht vor, da gerade in solchen Fällen der Unfallgegner oft die Ursächlichkeit bzw. die Höhe des Schadens bestreitet.

AG Dortmund
Aktenzeichen:
116 C 4270/97

 
http://www.captain-huk.de/urteile/pressemitteilung-lg-coburg-sachverstaendigenhorar/#more-794